Frau Breidenich, können Sie den Ernährungsansatz im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe kurz und knackig zusammenfassen?
Das Essen soll zur Gesundung der Patient*innen beitragen. Der anthroposophische Ansatz wird hier im Haus nicht nur in der Medizin verfolgt, sondern gilt auch für andere Aspekte, zum Beispiel die Ernährung. Die biodynamische Ernährung hat ja anthroposophische Wurzeln. Dieses Ziel werden wir nicht schaffen, 100 Prozent Bio hoffentlich aber schon. Mit 5,18 Euro Budget für den Lebensmitteleinsatz pro Patient*in pro Tag haben wir zwar minimal mehr zur Verfügung als in anderen Krankenhäusern – die Grenzen sind aber gesetzt. Einen Aha Moment hatte ich auf einem Fachkongress, auf dem die Reduzierung von Fleisch auf dem Speiseplan propagiert wurde: lieber an weniger Tagen, dafür aber von besserer Qualität. Das kam hier in der Leitung gut an – in Verbindung mit der Entwicklung wirklich leckerer vegetarischer Rezepte. Bei den Patient*innen am Anfang jedoch gar nicht so, aber wir arbeiten im Team, auch die Ärzt*innen und das Pflegepersonal beraten und erklären auf den Stationen. Unser Vorteil ist die eigene Küche. Wir machen alles selbst und beziehen mittlerweile auch viele Lebensmittel direkt von Produzent*innen, wo immer es geht direkt aus der Region. Das hat sich in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt. So bieten wir mittlerweile beim Frühstück nicht nur eine Menülinie „Brot und Butter“ an – das Brot hat Demeter Qualität –, sondern auch selbstgemachte Getreidebreie, ebenfalls komplett Bio. Wir müssen dabei aber immer das Budget im Blick haben. Brot und Butter heißt dann eben nicht eine Auswahl wie am Buffet. Wir bieten kein „All you can eat“, achten aber auf Abwechslung.
Das klingt nach einer Herausforderung.
War es auch. Aber ich habe gelernt, zu argumentieren, das Speisenkonzept zu erklären und mit den Patient*innen darüber zu sprechen. Wenn ihnen etwas fehlt: Wir haben einen Hofladen, in dem sie einkaufen können. Oder sie lassen sich von den Angehörigen Dinge mitbringen.
Dieser Lernprozess fand ja bestimmt auch in der Küche statt.
Absolut. Wir hatten aber das Glück, externe Berater*innen dazu holen zu können. In einem Workshop haben wir alles abgefragt. Seid ihr wirklich dabei? Es wurde schnell klar, dass die Umstellung auch zu mehr Wertschätzung beim Personal führen würde. Die Köch*innen hatten richtig Lust, sich neu zu erfinden, trotz der Mehrarbeit. Wir haben alle mitgenommen und – noch wichtiger – eingebunden. Dieser Prozess lief über ein halbes Jahr. Die Stimmung war fantastisch, auch wenn die Lernkurve mitunter steil war. Natürlich hatten viele Mitarbeiter*innen mit bestimmten Produkten noch nie gearbeitet und anfangs auch Schwierigkeiten damit. Wir sind das gemeinschaftlich angegangen, und ich habe immer gesagt: Es dürfen auch Fehler passieren. Bei insgesamt 150 neuen Rezepten ist das ja auch nur normal. Das alles war 2017. Wir suchten damals nach einem neuen Koch, beziehungsweise einer neuer Köchin. Die erste Bewerbung kam von
Patrick Wodni, heute im Team der Kantine Zukunft. Er hat sich richtig reingehängt, und das Personal hat sofort mitgemacht. So fand die Transformation statt. Seitdem arbeiten wir in der Küche mit einer „kollegialen Leitung“, einem Konzept, das sich auch im ganzen Haus widerspiegelt. Es gibt nirgendwo mehr einen Chef oder eine Chefin, sondern immer ein Team. In der Küche bedeutet das: Spezialist*innen für die fachliche Leitung in Vollkost und Diät, Einkauf und Logistik.
Stichwort Zero Waste: Wie lässt sich das in einem Krankenhaus umsetzen?
Natürlich ist das ein großes Thema bei uns. Es geht schon bei der Bestellung los, wo die Patient*innen zwischen einer großen und einer kleinen Portion wählen können. Unsere Menüpläne werden im Voraus erstellt. Das ist wichtig, weil die Patient*innen diese Pläne am Anfang der Woche erhalten und sich auch darauf verlassen können. Aber wir „tricksen“ hier auch ein bisschen.
Wie denn?
Bei den Beilagen definieren wir Gemüse nicht mehr konkret, wir lassen das offen und schauen, was am besten passt und verfügbar ist. Das ermöglicht mehr Flexibilität in der Küche. Es geht auch viel um saisonale Gegebenheiten. Wenn Kürbiszeit ist, kochen auch wir viel damit. Hier spielt dann die Abwechslung wieder eine große Rolle. Dieser „saisonale“ Blick wird immer wichtiger, nicht zuletzt weil wir auch mit regionalen Erzeuger*innen zusammenarbeiten. Wir haben in Bezug auf „weniger wegschmeißen“ viel von Patrick gelernt. Zum Beispiel hat er Paneer immer selbstgemacht – und aus der übrig gebliebenen Molke dann das Dessert angerührt.
Was bedeutet Ihnen die Zusammenarbeit mit der Kantine Zukunft?
Wir befinden uns im steten Austausch – das ist toll. Gemeinsam versuchen wir, unsere eigenen Anforderungen und Ziele voranzutreiben. Prozesse, Einkauf, Abläufe: Wir wollen mehr Bio, sind dabei aber auch auf Hilfe angewiesen. Die Lebensmittelpreise steigen stetig, hier kommt es darauf an, wie sich das wirtschaftlich abbilden lässt. Gleichzeitig sehen wir, dass im ganzen Land ein Umdenken stattfindet. Aktuell sind wir bei 40 Prozent Bio plus 10 Prozent regional. Unser Ziel für die nächsten fünf Jahre ist: 100 Prozent Bio. Zwar nicht biodynamisch, aber immerhin. Dabei geht es konkret um 200.000 Euro mehr Budget für die Küche pro Jahr. Umgerechnet auf Patient*innen ist das ein Sprung von 5,18 auf 6,80 Euro pro Tag. Die Kommunikation ist ganz wichtig auf diesem
Weg. Und – das darf ich sagen – wir sind aktuell das einzige Krankenhaus im Verbund der Kantine Zukunft, dass das Ziel 100 Prozent Bio ausgerufen hat und umsetzen will. Schon 2022 wollen wir 60 Prozent Bio erreichen.
Haben die Patient*innen in Havelhöhe ein Lieblingsgericht?
Ein Favorit ist auch hier die Currywurst. Das Fleisch ist Bio und die Currysauce selbstgemacht.