Kantine-Zukunft-Talk: Was beeinflusst unser Essverhalten?

Im Fokus der Veranstaltung standen Ernährungsumgebungen. Expert*innen teilten Erkenntnisse über deren Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten sowie Verantwortlichkeiten von Konsument*innen, Wirtschaft und Politik. Gemeinsam mit dem Publikum wurden komplexe Faktoren rund um Essgewohnheiten und Lebensmittelzugang erkundet.

Die Bedeutung von Ernährungsumgebungen

Zum vierten Mal fand am 16.11. der Kantine-Zukunft-Talk in unserer Trainingsküche statt – ein Ort, der nicht nur der wichtigen Weiterbildung von Küchenteams dient, sondern eben auch als Begegnungsstätte für branchennahe und -ferne Interessierte. Hier können wir signifikanten ernährungspolitischen Themen eine Bühne zu geben und wichtige Impulse nicht nur in Richtung der Küchen sondern auch in Wissenschaft, Politik und Verwaltung geben.

Nach Talks zu Social Gastronomy, Innovativen Ansätzen für nachhaltige Beschaffung und zum Whole School Food Approach haben wir uns diesmal dem Thema Ernährungsumgebungen gewidmet. In der Politik und Wissenschaft spielt dieser Begriff seit einiger Zeit eine größere Rolle. Gleichzeitig haben viele Menschen noch nie davon gehört – Anlass genug um der Sache intensiver auf den Grund zu gehen:

Was sind Ernährungsumgebungen eigentlich? Wie beeinflussen sie uns und wie können wir sie aktiv gestalten? Welche Verantwortung haben Konsument*innen, welche die Wirtschaft und was liegt bei der Politik? Was für Möglichkeiten gibt es Veränderungen in die Wege zu leiten? Und, was ist die Verbindung zur Gemeinschaftsgastronomie? Um Antworten auf diese und weitere Fragen zu bekommen , haben wir einige spannende Expertinnen eingeladen, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen in Vorträgen und auf dem Podium mit uns geteilt haben. Gemeinsam mit dem Publikum haben wir uns das komplexe Geflecht von Faktoren angeschaut, die unsere Essgewohnheiten, den Zugang zu Lebensmitteln und deren Auswirkungen auf unsere Lebensqualität gestalten.

 

“Wir gehen 160 mal im Jahr auswärtig essen.“

Ernährungsumgebungen – Ein Überblick

Gestartet haben wir unseren Talk mit Dr. Melanie Speck, die in ihrem Vortrag einen allgemeinen Überblick zu Ernährungsumgebungen gegeben hat. Sie ist Nachhaltigkeits- und Transformationsforscherin, Professorin für Sozioökonomie in Haushalt und Betrieb an der Hochschule Osnabrück und Senior Researcher am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Im deutschsprachigen Raum gibt es tatsächlich keine allgemein gültige Definition des Begriffs, aber zur Orientierung hat Melanie uns folgendes mitgegeben: Ernährungsumgebungungen umfassen die äume außerhalb unserer Privathaushalte. Sie steuern maßgeblich unsere Essentscheidungen durch den Zugang und die Auswahl an verfügbaren Lebensmitteln. Nicht immer entsprechen diese Optionen unseren individuellen Vorstellungen. Geografische Unterschiede verstärken diesen Einfluss, da regionale Besonderheiten die Verfügbarkeit von Lebensmitteln beeinflussen.

Zum Abschluss hat Melanie uns noch folgende Learnings mitgegeben:

Ernährungsentscheidungen stehen immer in einem räumlichen Kontext. Die soziale Umgebung spielt dabei eine zentrale Rolle, wobei nicht nur die Gesundheit, sondern auch die soziale Gerechtigkeit im Fokus stehen sollte. Besonders bewusst sollte uns sein, das insbesondere einkommenschwachere Personen einen überdurchschnittlich großen Teil ihres Nettoeinkommens investieren müssen, um eine hochwertige Ernährung zu gewährleisten: Jeder investierte Euro in gesunde Ernährung bringt nicht nur gesundheitliche Vorteile, sondern führt auch zu erheblichen Einsparungen – ein möglicherweise lebensverändernder Aspekt.

Den ganzen Vortrag könnt ihr hier sehen:

 

In der Stadt

Weiter ging es mit der kommunalen Ebene. Hierfür haben Hannelore Herreman, Politische Referentin und Food Policy Officerin für die Umwelt- und Klimaabteilung der Stadt Gent, und Johanna Vordemfelde, Expertin für Sustainable Food Systems bei ICLEI – Local Governments for Sustainability, über Gents ernährungspolitische Arbeit rund um Ernährungsumgebungen gesprochen. Die Stadt hat seit 2013 eine Ernährungsstrategie und setzt sich in Projekten wie „FEAST“ dafür ein, dass vor allem vulnerable Bevölkerungsgruppen besseren Zugang zu guten Lebensmitteln haben. Wie das aussehen kann, haben die beiden in ihrem Talk vorgestellt und sich dabei folgende Fragen gestellt: Wie können Inputs verschiedener Bevölkerungsgruppen und gastronomischer Akteur*innen einbezogen werden? Wie kann Ernährungspolitik partizipativ gestaltet werden und wie können Menschen abgeholt werden ohne dass sie sich bevormundet fühlen?

Den ganzen Vortrag und viele Antworten gibt’s hier (auf Englisch):

 

Auf der ICLEI Website findet ihr ergänzende Beiträge zum Vortrag der beiden Referentinnen:

  • Zur aktuellen Folge des ICLEI Podcast „Local Voices for Sustainability“
  • Zum Beitrag im ICLEI Blog über den Kantine Zukunft Talk
Im Viertel

Der städtischen folgte der Blick auf die nachbarschaftliche Ebene und die Fragestellung: Welche Wirkung haben Wohnviertel auf unsere Ernährungsweise? Darüber sprach die multidisziplinäre Stadtplanerin, Forscherin und Strategin Olivia Flynn. Sie ist Senior Designer bei Gehl Architects, einem Büro für Stadtplanung und Strategie mit Sitzen in Kopenhagen, New York und San Francisco, das sich zur Aufgabe gemacht haben „Städte für Menschen“ zu schaffen. Olivias Message passte perfekt zum Motto des Unternehmens: „Man muss auf die Menschen achten, wenn man Ernährungsumgebungen nachhaltig verändern möchte, sie beobachten und ihnen zuhören.“ Olivia unterstrich die Notwendigkeit, Ernährungsumgebungen nachhaltig zu gestalten. Dies erfordert eine aktive Umgestaltung von Wohnvierteln, unter Berücksichtigung sozialer Räume. Aufmerksamkeit und Zuhören gegenüber den Menschen sind entscheidend, um ihre Bedürfnisse zu verstehen. Ein systemischer Wandel ist komplex, aber unverzichtbar, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Die Anpassung der Umgebung kann Verhaltensweisen und Gewohnheiten beeinflussen.

Wie Gehls das bereits erfolgreich in Kopenhagen, London oder Lissabon umgesetzt hat, seht ihr in Olivias Präsentation:

 

Weiterführende Links zum Vortrag:

In der Kantine

Nach Stadt und Kiez ging es thematisch direkt in den Speisesaal. Christine Bopp und Christina Werner vom Küchenteam des Studio Olafur Eliasson widmeten ihren Vortrag der Leitfrage „Wie prägen Kantinen oder Mensen unsere Esskultur und Rituale?“ Das Küchenteam, bestehend aus Lauren Maurer, Christine Bopp, Montse Torredà Martí und Nora Wulff, betreibt die Küche im Atelier des Künstlers Ólafur Elíasson in Berlin. An vier Tagen in der Woche bereiten sie vegetarische Mahlzeiten aus Bio-Lebensmitteln zu, die vom gesamten 100-köpfigen Team des Ateliers sowie von Gästen gemeinsam genossen werden – Family-style. Es wird verwendet, was gerade wächst, wodurch eine hohe Flexibilität und Spontanität in der Zubereitung erforderlich ist. Ziel ist es, keine Lebensmittelreste zu hinterlassen, und alles was übrigbleibt, wird mit nach Hause genommen. Neben der reinen Zubereitung von Speisen werden den Mitarbeitenden auch Workshops angeboten, die Themen wie Fermentieren und Sauerteig abdecken.

Wie das Küchenteam es darüber hinaus schafft, eine Atmosphäre zu kreieren, in der man gerne und gut isst, erfahrt ihr in ihrer kurzen Präsentation:

 

Übrigens: Das Team hat ein tolles Rezept in FÜR VIELE geteilt. Hier könnt ihr es nachschlagen!

Viele Ideen für Berlin

In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden die vorher präsentierten Ansätze aufgegriffen und diskutiert, wie Ernährungsumgebungen in Deutschland und Berlin bereits aktiv gestaltet werden und wie wir uns hier noch verbessern könnten.

Auf der Bühne war Eva Bell, Leiterin der Abteilung „Gesundheitlicher Verbraucherschutz, Ernährung“ im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Sie ist Ernährungswissenschaftlerin und arbeitete unter anderem für Verbraucherzentralen in Rheinland-Pfalz, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Berlin sowie als Präsidentin der Landesanstalt für Umwelt in Baden-Württemberg.

Mitdiskutiert hat auch Heike Breidenich, Mitglied der Krankenhausleitung im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe. Sie setzt sich seit mehr als 25 Jahren für gesundes, leckeres und nachhaltiges Essen in Krankenhäusern ein. Die gelernte Restaurantfachfrau und Betriebswirtin sieht speziell in der Transformation der Gemeinschaftsverpflegung einen zentralen Hebel für die Unterstützung der Ernährungswende und den Weg in Richtung gesünderer Ernährungsumgebungen.

Die wissenschaftliche Perspektive kam von Lynn Wagner. Sie hat an der Hochschule Niederrhein ihren B.Sc. in Oecotrophologie sowie ihren M.Sc. in Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften mit dem Schwerpunkt Management der Lebensmittelverarbeitung erworben. Aktuell ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Osnabrück und promoviert kooperativ an der TU Berlin. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Indikatoren-basierte Nachhaltigkeitsbewertung von Produkt-Dienstleistungssystemen mit dem Fokus Ernährung.

Einblicke und Ausblicke

Der Abend wurde traditionsgemäß mit folgender Frage beendet: „Wenn wir heute hier ein großes Plakat drucken lassen würden, was an der Fassade der Markthalle aufgehangen werden würde, und du entscheiden könntest, welche Message draufsteht, welche wäre das?“

„Schluss mit Wohlfühlmaßnahmen – ran an den Speck!“

Lynn Wagner

„Gutes Essen für alle! Das kann wirklich Spaß machen.“ Oder „Weniger is(s)t mehr. Man kann mit weniger wirklich gute Sachen machen.“

Heike Breidenich

„Hier gibt’s gutes Essen!“

Eva Bell

Vielen Dank für den Austausch, das große Interesse und den interessanten Abend.
Auch 2024 wird es wieder Möglichkeiten zum Informieren, Zuhören und Expert*innen kennenlernen geben beim Kantine-Zukunft-Talk. Am 21. März und 21. November laden wir herzlich in unsere Trainingsküche ein und wollen richtungsweisende Themen der Ernährungspolitik diskutieren. Hier geht es zur Anmeldung.
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