„Wenn es Sterne gibt, dann jene, die von Kindern kommen!“

Kochen für Kinder heißt nicht nur kreativ und wirtschaftlich zu arbeiten. Es geht vor allem auch um Pädagogik, Überzeugungsarbeit und das Schaffen von Sensibilität.
RENÉ RON­COSEK von INA.KINDER.GARTEN über seinen Wechsel von der Sterneküche in die Gemeinschaftsgastronomie, anspruchsvolle Kinder und gesunde Ernährung als Berufung.
Wieso wechselt man von der Sterneküche in die Gemeinschaftsgastronomie?

Ich glaube, die Gemeinschaftsgastronomie, gerade in der Kita, ist die natürlichste Form des Kochens. Über die Kinder erhält man die ehrlichste Rückmeldung. Wir haben eine hohe Bio­-Quote und arbeiten nur mit natürlichen, unverarbeiteten Lebensmitteln mit großem regionalen Bezug. Das entspricht meiner Lebensauffassung. Dazu gilt es, pädagogisch zu wirken, das ist eine tolle Aufgabe.

 

Kinder essen anders als Erwachsene, die Kitakü­che kocht anders als das Gourmetrestaurant. Was sind die wesentlichen Unterschiede?

Zum einen die Portionsgrößen, die kleiner sind, aber auch die spezifische Verbindung des Essens zum sensiblen Verdauungs-­ beziehungsweise Immunsystem. Es geht um Allergien, aber auch um den Verdauungsapparat, der bei kleinen Kindern noch nicht so ausgeprägt ist. Es ist wichtig, feinfühlig an die Sache ranzugehen und achtsam zu kochen. Natürliche Geschmacksbildung im Kindergartenalter ist ein zentrales Thema. In der Sterneküche habe ich selbst erlebt, dass gerne mit Geschmacksverstärkern gearbeitet wird. Das würde die Geschmacksknospen der Kinder verfälschen. Wir Kitaköche können also von Anfang an mitwirken, das Ernährungsbewusstsein der Kinder zu prägen. Dieses Bewusstsein und die dazugehörigen Sinne werden zum Rüstzeug für´s spätere Leben, um sich gesund zu ernähren.

 

Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus?

Ich fange in der Regel um sechs Uhr an. Wir arbeiten zu zweit und kochen für drei Kitas: unsere Einrichtung und zwei weitere in der Nähe. Das Catering für die beiden muss um zehn Uhr fertig sein. Bei unseren Ansprüchen ist das eine Herausforderung. Abgesehen vom Kochen spielt die Dokumentation eine zeitlich gewichtige Rolle. Man kann sich das wie bei der Kü­chenleitung eines Restaurants vorstellen: Wir müssen Hygienevorschriften einhalten und überprüfen, schrei­ben Speisepläne und bewerkstelligen die ganze Logistik. Wir arbeiten saisonal, da gilt es viel einzu­binden. Auch im pädagogischen Bereich arbeiten wir gerne mit. Transparenz schafft Identifikation bei den Kindern: Wer macht das Essen? Wo sind sie, wie arbeiten sie und wie sieht der Arbeitsbereich aus? Interesse und Neugier zu wecken, schafft Präsenz.

 

Kinder sind bestimmt anspruchsvolle Kundinnen und Kunden.

Sie bringen von zu Hause eigene Esskulturen und Gepflogenheiten mit. Wenn wir in der Küche experimentell werden, stößt man nicht auf Ablehnung, aber schnell an Grenzen. Da ist Überzeugungsarbeit wichtig und die ist bei Kindern schwieriger als bei Erwachsenen. Hier hilft uns der pädagogische und transparente Ansatz. Wir machen Kochkurse mit den Kindern. Um sie zu überzeugen, brauchen sie einen mehrmaligen Kontakt mit einem Lebensmittel. Gefragt sind Kreativität und Hartnäckigkeit.

 

Geht es auch um klassische Reizthemen wie Spinat und Brokkoli?

Schwierig ist in der Tat oft, was grün ist. Selbst Kräu­ter, die aufs Essen drauf gestreut werden, sorgen schon für Ablehnung. Was überraschte war unser Petersilien-­Pesto, das ich unseren Kindern eines Tages angeboten habe. Petersilie hat nicht so einen starken Eigengeschmack wie Basilikum. Mich hat umgehauen, wie das angenommen wurde. Mittlerweile zählt es zu unseren Hausrezepten. Unsere Kinder fordern das Pesto regelmäßig ein.

 

Mit frischen Bio-­Produkten zu kochen, selber zuzubereiten, das bedeutet auch eine wirtschaftliche Umstellung. Man könnte sagen, Pommes oder Nudeln mit Ketchup reichen den Kindern doch. Lohnt sich der Umstieg?

Pro Kind in der Mittagsverpflegung haben wir ein Budget von 24 Euro im Monat, und damit muss man gut arbeiten. Bei solider Planung ist das auch mit Bio­-Produkten machbar, wenn man sich ein gutes Lieferantennetzwerk aufgebaut hat. Der Umstieg lohnt sich auf jeden Fall. Pommes sind ein gutes Beispiel – die fordern unsere Kinder gelegentlich auch ein. Unsere Aufgabe ist, das in unserem Sinne umzusetzen. Wir machen darum „Kartoffelbalken“ und be­reiten diese auf speziellen Blechen durch ein ange­passtes Garprogramm im Konvektomaten ganz ohne Fett zu. Das Ergebnis steht den klassischen Pommes in nichts nach.

 

Erziehen Kinder auch die Eltern?

Eine Mutter berichtete mir, wie ihr Kind zu ihr am Ess­tisch meinte: „Ich weiß, Mama, du machst dir immer Mühe. Aber so gut wie René kriegst du das leider nicht hin.“ Das ist natürlich eine Auszeichnung. Es spricht ja nicht gegen die Kochkunst der Eltern, sondern dafür, wie wertvoll unsere Arbeit für die Kinder ist.

 

Die oft gehörten Argumente gegen eine solche Transformation sind: Ist zu teuer oder zu aufwändig, die Leute wollen die Standards.

Zum Thema: Wollen die Kunden nicht haben. Das ist eine Ausrede, um weiter zu machen wie bisher. Wir leben in einer Zeit, in der wir wissen, welche nachhalti­ge Wirkung Ernährung gerade für die eigene Gesundheit hat. Dessen muss sich jeder Mensch bewusst werden. Das Gefährliche an dem Komplex Gesundheit und Ernährung ist, dass die aus einer ungesunden Ernährungsweise resultierende schädigende Wirkung nicht unmittelbar erkennbar wird. Die Folgen einer ungesunden Ernährung zeigen sich oft erst dann, wenn es meistens zu spät ist.

 

Was hat dieser gesunde und kreative Ansatz mit dir als Koch gemacht?

Er bietet vor allem die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Die Vielfalt, die sich auftut, ist immens. Daran wächst man, schafft neue Horizonte und kann viel ausprobieren. Wenn man als Koch immer nur das Gleiche über die Theke schieben will, und das auch noch ungesund ist, dann sollte man sich fragen, ob es der richtige Beruf ist.

 

Wie ist es, gutes Feedback von den Kindern zu bekommen?

Die Rückmeldung ist immer ehrlich. Wenn etwas nicht schmeckt, dann sagen die Kinder das auch. Die Gruppen rufen auch mal in der Küche an, und wenn im Hintergrund die Kinder brüllen: „Das Essen ist lecker!“, dann sind das Momente, die einen nach Hause schweben lassen.

 

Besser als jeder Michelin-­Stern?

Ja! Sterne brauchte ich nie. Aber wenn es Sterne gibt, dann jene, die von Kindern kommen. Durch die Arbeit mit Kindern habe ich gemerkt, dass es eine wirkliche Berufung ist, sie auf den Weg zu bringen, sich gesund, vielfältig und kreativ zu ernähren. Das ist toll.

René

DIE VIELFALT, DIE SICH AUFTUT, IST IMMENS. DARAN WÄCHST MAN, SCHAFFT NEUE HORIZONTE UND KANN VIEL AUSPROBIEREN.

 

RENÉ RONCOSEK wurde in Berlin geboren. Nach dem Abitur begann
er eine Ausbildung als Hotelfachmann, sattelte aber bald auf die Küche um. Er kochte u.a. im Sterne­-Restaurant „First Floor“. Seit sieben Jahren arbeitet er für den Träger INA.KINDER.GARTEN, der 20 Kitas in Berlin betreibt.
Das Interview ist ursprünglich in der Publikation: Wir kochen für Berlin – Eine Kampagne erschienen. Die digitale Version des Heftes gibt es hier:
Wir kochen für Berlin – Eine Kampagne

 

Autor: Jan-Peter Wulf (More Than Words Berlin / Das Filter – Medium für Gegenwart)
Bilder: Joanna Nottebrock

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