„Einfach machen!“

Ohne Orange sähe Berlin grauer und dreckiger aus. Mehr als 6.000 Menschen arbeiten bei der Berliner Stadtreinigung (BSR) und machen die Stadt jeden Tag von früh bis spät sauber, im Winter sorgen sie rund um die Uhr für schnee- und eisfreie Straßen. Das macht hungrig! Das Küchenteam überzeugt die Belegschaft mit einem attraktiven Menüangebot, jeden Tag mit drei verschiedenen Gerichten. Vergangenes Jahr haben sich die Kantinen bio-zertifizieren lassen und an der Kantinen-Werkstatt teilgenommen. Daniel Indlekofer, Abteilungsleiter der Betriebsgastronomie erzählt, wie es dazu kam – und wie es weitergeht.

Ein Gespräch über Inspiration und Ansporn zum Experimentieren sowie über Rezepturen, die einfach gut schmecken!

 

Warum hat sich die BSR für eine Teilnahme an der Kantinen-Werkstatt und damit für ein ökologischeres, frischeres und saisonaleres Angebot entschieden?

Das war nur ein folgerichtiger Schritt. Die BSR ist ein nachhaltig ausgerichtetes Unternehmen und hat hier klare Zielvorgaben. Da ist es nur folgerichtig, dass Nachhaltigkeit und gesunde Ernährung auch bei der Verpflegung der Kolleg*innen von großer Bedeutung sind und wir unsere Betriebsgastronomie ebenfalls in diese Richtung bewegen.

War das eher Pflichterfüllung oder auch persönliche Motivation?

Es war überhaupt keine Pflicht, im Gegenteil: Meinen Kolleg*innen und mir war es ein persönliches Anliegen, mehr Bio-Produkte an den Start zu bringen, aber auch alle damit einhergehenden Veränderungen nach und nach umzusetzen. Schon bevor die Kantine Zukunft bei uns angefragt hatte, ob wir bei der Kantinen-Werkstatt mitmachen, haben wir zum Beispiel auf Bio-Kartoffeln aus der Region umgestellt.

Welche anderen Lebensmittel in Bio-Qualität verwenden Sie denn mittlerweile noch?

Viele! Wir haben bislang frisches Obst und Gemüse, Rindfleisch, Kräuter, Tee, Kaffee, Milchprodukte, Eier, Nudeln und Reis in Bio-Qualität, gerade stellen wir die Hülsenfrüchte um. Brot, Schweine- und Hühnerfleisch sind noch konventionell.

 

Die Kantinen-Werkstatt setzt eine Bio-Zertifizierung nicht voraus. Warum haben Sie sich für eine Bio-Zertifizierung entschieden?

Weil wir unser Engagement langfristig und dauerhaft vertiefen möchten. Dazu gehört auch eine transparente und überzeugende Kommunikation. Ohne Zertifizierung dürfen wir die Speisen auf unserer Menükarte nicht als Bio bezeichnen, auch wenn Bio-Produkte eingesetzt wurden.

Viele Kantinenleitungen schrecken davor zurück. Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Bio-Zertifizierung und was würden Sie anderen Kantinen raten?

Auf jeden Fall einfach machen. Viele denken, dass sie dann 100 Prozent Bio anbieten müssen, aber das stimmt ja nicht. Wir sind gerade bei 40 Prozent und arbeiten daran, diesen Wert weiter zu steigern. Der Aufwand einer Zutaten-Zertifizierung ist wirklich überschaubar, auch wenn die regelmäßigen Kontrollen für Aufregung sorgen. Aber ohne Kontrollen geht es eben nicht. Inzwischen werden wir auch von vielen Kantinen angefragt, wie wir das denn machen mit „Bio“, und die kommen aus ganz Deutschland.

Die Bio-Zertifizierung war also ein wichtiger Schritt. Was waren die anderen größten Veränderungen, die während der bisherigen Zusammenarbeit mit der Kantine Zukunft umgesetzt wurden?

Der Einkauf und die Speiseplanung. Wir achten beim Einkauf mehr auf Saisonales, weil das auch günstiger ist, und die meisten frischen Bio-Produkte kommen unverarbeitet. Das bedeutet mehr Frische aber natürlich mehr Arbeit für die Kolleg*innen in der Küche, die zum Beispiel die Karotten selbst raspeln müssen für den Salat. Es gibt jetzt auch mehr vegetarische Gerichte. Die sukzessive Erhöhung des pflanzlichen Anteils auf inzwischen ein Viertel des Angebots benötigt Zeit und Ausdauer.

Warum?

Wir haben in unseren Kantinen mit unseren Mitarbeitenden eine ganz spezielle und diverse Zusammenstellung der Gäste. Die meisten Büroleute freuen sich über moderne Gemüsegerichte und neue Rezepturen mit weniger Fleisch. Während unsere körperlich hart arbeitenden Müllwerker*innen und Straßenreiniger*innen hingegen noch oft Fleisch zur Stärkung im Angebot sehen wollen.

Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um? Gibt es da gute Umgangsformen?

Zum Beispiel mit überzeugenden, leckeren Rezepturen, die auch treue Fleischliebhaber abholen und befriedigen. Deftig, gehaltvoll, sättigend – aber eben ohne oder mit weniger Fleisch. Dabei hat uns Kantine Zukunft stark unterstützt, zum Beispiel mit dem tollen Rezept „Pfannkuchen mit Schmorkohl, Schmand und Apfelchutney“, das bei der Belegschaft und auch bei unserem Küchen-Team sehr gut ankam.

Wie haben die neuen Rezepturen denn ihren Weg auf die Speisepläne und auf die Teller gefunden?

Über Koch-Workshops in der Trainingsküche und individuelle Beratungstermine mit dem Trainer Patrick Wodni. Normalerweise bekommen unsere Köch*innen nicht gern andere Rezepte vorgesetzt, sondern entwickeln lieber eigene. Aber auch dafür war das Programm Kantinen-Werkstatt gut, als Inspiration und Ansporn zum Experimentieren. Zum Beispiel haben wir in Workshops 50 neue vegetarische Rezepturen entwickelt, auf die wir mächtig stolz sind. Die Koch-Workshops und auch die Exkursionen zu regionalen Bio-Betrieben haben dem Küchen-Team Spaß gemacht und waren sehr aufschlussreich.

Und wie haben Ihre Gäste auf die Veränderungen in der Küche reagiert?

Auf die gestiegene Qualität des Essens durchweg positiv. Und das motiviert dann natürlich auch unsere Köch*innen, weiterzumachen. Natürlich meckern auch einige, wenn sie denken, dass man ihnen einfach etwas unterjubeln möchte, um Fleisch einzusparen.

 

Wie gehen Sie damit um?

Wir können und möchten unsere Gäste nicht missionieren. Aber wir können mit einem attraktiven Menüangebot überzeugen, jeden Tag mit drei verschiedenen Gerichten. Man muss bedenken, dass unsere zehn Kantinen mit allen Imbissbuden und Gastronomie-Angeboten dieser Stadt konkurrieren, weil die meisten unserer Mitarbeitenden überall in Berlin unterwegs sind. Und wenn sie bei uns ihre geliebte Boulette nicht kriegen, dann kaufen sie sie eben woanders. Unsere größte Herausforderung wird es sein, unsere körperlich hart arbeitenden Kolleg*innen davon zu überzeugen, dass sie auch dann glücklich satt werden, wenn nicht jeden Tag Fleisch auf dem Teller landet. Und ihnen zu zeigen, dass das richtig lecker ist.

Wie sieht es mit den Ausgabepreisen aus – hat sich hier durch die Umstellungen viel verändert?

Bis auf die üblichen moderaten Preisanpassungen, auf die der BSR-Personalrat sein strenges Auge wirft, haben wir die Umstellung ohne große Mehrkosten für unseren Einkauf hinbekommen und damit auch für die Gäste. Nur die Rindfleischgerichte mussten wir um circa einen Euro teurer machen, weil wir auch hier auf höchste Qualität setzen, nämlich auf regionales Bio-Weiderind aus artgerechter Haltung.

Was hat Ihnen gefallen und was wünschen Sie sich noch in der Zusammenarbeit mit Kantine Zukunft?

Der fachliche Austausch mit einem Profi wie Patrick Wodni ist immer inspirierend. Er hat uns wirklich gut begleitet und bei den nötigen Veränderungsschritten geholfen. Wodni und sein Team wissen, von was sie reden. Und natürlich freuen wir uns bei der BSR über die Auszeichnung, die wir beim Berliner Kantinenfest gewonnen haben – als das Berliner Unternehmen mit den meisten bio-zertifizierten Kantinen. Ich würde mir wünschen, dass wir auch weiterhin in Verbindung bleiben und uns Kantine Zukunft mit Rat und Tat unterstützt, auch wenn das Programm der Kantinen-Werkstatt schon abgeschlossen ist.

 

„Wir können und möchten unsere Gäste nicht missionieren. Aber wir können mit einem attraktiven Menüangebot überzeugen, jeden Tag mit drei verschiedenen Gerichten.“

 

Daniel Indlekofer, Abteilungsleiter der BSR-Betriebsgastronomie

Fotos: Joanna Nottebrock
Interview und Text:
Susanne Salzgeber

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